Seit einigen
Jahren malt Anna Blume ungegenständlich. Die kargen, auf Holztafeln
gemalten geometrisierenden Farbflächen lassen ihre
Malerei als äusserst modern
erscheinen. Ihre abstrakte Malerei ist nicht intellektuell zu nennen, und
dennoch erar-
beitet die Künstlerin nicht
bloss intuitiveTraumbilder. Die
Bildkomposition ist zwar
nicht mathematisch berechnet, aber sie ist dennoch geplant und
fliesst nicht einfach
«unbeschwert> aus der Hand, wie es scheinen mag.
Die Farbwerte folgen keiner stren-
gen Farbenlehre, und gleichwohl sind sie ausgeklügelt aufeinander abgestimmt.
Anna Blume arbeitet mit geometrischen Grundmustern und Elementarformen;
Kreis, Rechteck und Dreieck sind mitunter zu «waghalsigen» Überlappungen und
Knäueln ausformuliert.
Die Holztafelbilder wirken wie Schilder, Wappen oder Signale; die einfachen
Formen
und die reliefartigen Erhöhungen und Wölbungen der Holzgrundlage steigern
den Hinweischarakter der Werke. Der Betrachter darf Gegenständliches: Türen,
Fenster,
Innen- und Aussenräume assoziieren, wenngleich
Anna Blume betont, dass sie nicht
bestimmte Dinge und Wahrnehmungsausschnitte abstrahiert.
Die Werke präsentieren sich ungerahmt; der Rahmen ist als Begrenzungslinie
zumeist
in schwarzer Tönung dem Bild selbst auf gemalt. Die Holztafeln sind oft
schwarz
grundiert, was den ikonenhaften Charakter der
Malerei steigert.
Tatsächlich haben vorab die kleineren Tafeln nicht selten die Ausstrahlung von
Ikonen
und bannen den Blick in ihrer nüchtern kargen Reduktion.
Anna
Blumes Malerei ist aber keinesfalls als religiös
zu bezeichnen die Konzentration
auf helle Farbfelder in der Bildmitte der einzelnen Tafeln mag Assoziationen
an
mystische oder gar theosophische Bildwelten suggerieren, doch derartige
Entschlüs-
selungsversuche führen in die Irre. Anna
Blumes Malerei ist, wie die Künstlerin selbst
betont, gar nicht motivlich-inhaltlich zu
entschlüsseln.
Die Malerin macht keine Inhaltskunst im klassischen Sinne des Begriffs. Sie
experi-
mentiert mit Farb-Form-Studien, die sich
erstaunlich zeitgemäss ausnehmen. Die
Überschneidungen mit den gegenwärtigen Modeströmungen der intuitiven und
neo-konstruktivistischen Geometrie in der Malerei sind allerdings
zufällig.
Die Detailbetrachtung der Tafelbilder bringt Erstaunliches zutage. Die Malerin
arbei-
tet oft in mehreren Schichten, und die
durchschimmernden Grundstrukturen und
Farbwerte der tieferliegenden Malebenen lockern
die Strenge der geometrischen
Struktur. Die Linien, die die einzelnen Farbflächen trennen, sind in der
Farbgebung
subtil angepasst an die jeweilige
Komplementärwirkung der einzelnen Werte der
Koloratur. Diese Detailstrenge unterscheidet die Arbeiten wiederum von den
Werken
mancher Anhänger der jüngsten geometrischen Tendenzen.
Anna Blumes Arbeit bewegt sich damit in der
Wechselwirkung von Lockerung und
Strenge, von intuitiver Ausbreitung und Exaktheit. Manche der kleinformatigen
Arbeiten nehmen sich aus wie Kreationen der Minimal-Art. Solche
kunsthistorischen
Einordnungsversuche der Werke sind allerdings gefährlich; Anna Blume mag es
auch
nicht, wenn man ihr einen Platz in der Motiv- und
Stilgeschichte zuweist, wenn auch
da und dort ihre Bewunderung für die frühen russischen Abstrakten
durchschimmert.
Die Malerin arbeitet zwar primär in der Dimension einer Fläche, dennoch haftet
ihren
Bildern oftmals etwas Räumliches an: das Ausufern in den Raum wird betont
durch
einzelne Bildträger (beispielsweise alte Schranktüren), die bereits einen
Reliefcharak-
ter aufweisen, der pastose,
vielschichtige Farbauftrag betont die räumliche Wirkung,
die schliesslich auch noch durch
Sgraffito-Kerbungen gesteigert wird.
Anna Blume arbeitet mit einer vergleichsweise beschränkten Palette von
Farbwerten.
Die Farben bewegen sich oftmals im Bereich von subtil abgestuften Rot-, Braun-
und
Blauwerten sowie im Spektrum von Weiss-, Grau- und
Schwarztönen. Gegen den
oberen Bildrand hellen sich die Töne oft auf. Im farblichen und formalen
Aufwärts-
streben, das sich wie die schwebende Geste ausgebreiteter Arme ausnimmt, ist
damit
vage Inhaltliches angedeutet oder wird zumindest das Blickfeld vom Boden zum
Horizont bestimmt.
Die Künsterin arbeitet nicht in Serien oder
Zyklen, die einzelnen Tafeln behaupten
ihre autonome Gültigkeit. Keine einzelnen Elemente oder Strukturen dominieren;
Kreuzformen wechseln mit Spielbrettmustern und symmetrische Dreiecks- und
Carré-Kompositionen mit asymmetrisch
aneinandergereihten Flächen. Die Trenn-
linien sind nie mit dem Lineal gezogen und
bestimmen in ihrer «freien Bahn» doch
unabdingbar den Ordnungsraster der einzelnen Tafeln.
Anna Blume spielt mit dem Chaos in der Ordnung, mit der Intuition im
Vorgedach-
ten, und gerade mit diesen «wohldosierten» Unentschiedenheiten verleiht sie
ihren
Werken eine besondere Brisanz.
Die Malerin betreibt in ihrer Arbeit keine Selbsterforschung, eher
Selbstverteidigung,
wie sie mit maliziösem Unterton feststellt.
Einen Hauch Rätselhaftigkeit dürfen die bemalten Holztafeln behalten -
Mystifi-
zierungen und meditative Vertiefungen verweigern
diese Bilder allerdings, dafür
stehen sie der kontemplativen und vielleicht auch der
forschend-intellektuellen Be-
trachtung offen.
Von einem biographischen Ansatz her lassen sich die Bildwelten nicht
aufschüsseln,
lebensgeschichtliche Werkinterpretationen liegen ganz und gar nicht im Sinne
der
Künstlerin. Früher hat die Malerin, wie erwähnt, gegenständlich gearbeitet,
die Ten-
denz zur Abstraktion zeichnete sich aber bereits
in den älteren Pastellen und den orna-
mentalen Strukturen der skurrilen «Spielzeugbilder» der siebziger Jahre ab.
Der Übergang von der figurativen Malerei zur jetztigen
Werkphase erfolgte nicht
bruchartig. Den Weg, den Anna Blume in den letzten Jahren eingeschlagen hat,
will sie
fürs erste weiterverfolgen. Am Horizont sieht die Künstlerin einen
unerschöpflichen
Farben- und Formenvorrat für ihre eigenwilligen und - das soll doch auch noch
gesagt sein
-
sehr
eigenständigen, abstrakten Universien.
Conradin Wolf